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MoMenTum – Stipendiumausstellung 2024

Amelie Safavi, Hanna Wiemann, Johanna Wessbuer, Alida von Skibba, Alina Gabrys, John Bergmann, Ida Kölscheid, Finja Stork, Gerrit Klein, Emma Schmidt, Luisa Wenzel, Lucia Temler, Katrin Steffans, Markus Nacke, Katharina Berndt-Sherwen, Bernd Zibell, Gabriele Berndt-Bathen, Ralf Köpke, Thea Tersteegen, Ziyan Lu. Foto: Jörg Zimmer, Sparkasse.

Die Ausstellung in der Sparkasse am Niederrhein, in der Poststraße 10 im Ortsteil Neukirchen, läuft vom 14. März bis zum 8. April 2024. Alle interessierten Besucher sind herzlich eingeladen, die umfangreiche Präsentation auf der Galerie in der Kundenhalle der Sparkasse in Augenschein zu nehmen.

Der Vorstandsvorsitzende der Sparkassen-Kulturstiftung Bernd Zibell begrüßte die rund 100 Gäste in seinem Haus und erläuterte, dass es den Begriff Momentum auch in seinem Geschäftsbereich gibt. Umso mehr war er gespannt auf die Bedeutung in der Bildenden Kunst. Der Kuratoriumsvorsitzende Markus Nacke hob die Zusammenarbeit mit der Kunstschule seit 2004 hervor und unterstrich die fortwährende hohe Qualität der Arbeiten. In Anwesenheit des Bürgermeisters Ralf Köpke stellte die Leiterin der Kunstschule Gabriele Berndt-Bathen die 14 StipendiatInnen der beiden vergangenen Halbjahre vor. Im Anschluß erläuterte Gerrit Klein in seinem Vortrag den Zusammenhang der Projekte.

Vortrag. Der Begriff „Momentum“ wird in der Physik und im englischen Sprachgebrauch auch im Sport benutzt und bedeutet im Kern einen „Impuls“. Dieser Impuls meint hier, dass sich ein oder mehrere Körper in Bewegung setzen.
Wenn wir uns Rugbyspieler vorstellen, die in einem Gedränge den Ball ergattern wollen (crouch, bind, set), treten hier angespannte Kräfte auf, die sich dann im Augenblick der Balleroberung der einen oder der anderen Mannschaft mit Wucht entladen und das Spiel in Schwung kommt. Der Begriff Momentum wird nicht nur im Rugby zur Beschreibung solcher Spielabschnitte benutzt, sondern auch in anderen angelsächsischen Sportarten, wo es um Raumgewinn geht.
Das Momentum ist also der Augenblick als der Startpunkt anvisierter Erfolge und Ziele. Wenn alles zusammenkommt und die Taktik funktioniert hat die Mannschaft „einen Lauf“.

Es ist einleuchtend, dass der „Impuls“ Bedeutung in der physikalischen Welt hat. Denn Kraft und Bewegung finden nur hier statt!
Ich habe mal gelernt, ein Wort oder einen Begriff mit dem man sich beschäftigt in seine Einzelteile zu zerlegen. Wo das Präfix „mo“ auftaucht hat es immer die Grundbedeutung von Bewegung. Die zweite Silbe des „men“ hat immer was mit Denken und Bewusstsein (Geist) zu tun, und das „tum“ (Dann!) ist sowas wie das Gegebene, die Ausführung. Gewissermaßen das „Enter“ auf der Tastatur (Startsuffix). Frei übersetzt ist das „Momentum“ das bewusste „In-Bewegung-setzen“, schlicht der „Aufbruch“!

In der Kunstgeschichte gab es immer Bestrebungen, die Zeit und Bewegung auszudrücken. Physikalische Bewegungsdarstellungen haben wir beispielsweise bei Giorgione und Jan Vermeer. Bei Giorgiones „Das Gewitter“ (1500-zehner Jahre) kommt es zur Darstellung eines Momentums in Form eines zuckenden Blitzes im stürmischen Himmel. 150 Jahre später sehen wir bei Jan Vermeer die „Milchgießerin“ (1658), die einen Milchstrahl aus einer Kanne in eine Krucke gießt. Natürlich gibt es eine Vielzahl weiterer Bilder, in denen eine Bewegung dargestellt ist. Aber bei allen Darstellungen von Bewegung im Bild, also der Zeit, findet diese Wahrnehmung nur im Kopf statt – weil wir wissen, dass diese Dinge in der wirklichen Welt stattfinden, also ein Momentum voraussetzen.

Es gibt für unsere Wahrnehmung zwei Systeme, in denen wir unsere Weltbeschreibungen überhaupt nur machen können: das zeitliche Nacheinander und das räumliche Nebeneinander. In der Literatur folgen Buchstaben, Worte, Sätze, und Kapitel aufeinander. Hier entsteht der ganze Roman im Kopf. Ebenso in der Musik, hier sind die Noten hintereinander von harmonischem Sinn. Aber das Besondere ist, dass der einzelne Ton, also der Klang, nur einen Zeitbruchteil zu hören ist, und im verklingenden Hintereinander die ganze Sinfonie in uns entstehen lassen. Nicht nur deshalb gilt die Musik als die höchste Gattung der Künste.
Uns interessiert in der Bildenden Kunst das gleichzeitige Vorhandensein aller Bildteile. Das räumliche Nebeneinander ist das Besondere in der Malerei. Dies findet Ausdruck in den drei Hauptgattungen Architektur, Ornament und Bild. Auf die Architektur, die allein einen Nutzanspruch hat, weil der Mensch darin lebt, ist aller Schmuck und das Bild bezogen. Die Gattung Bild gliedert sich wiederum in Malerei und Bildhauerei. Wenn aber das Bild immer auf die Architektur bezogen ist, weil es die Wand oder den Raum braucht um gesehen zu werden, heißt dies auch, dass das Bild immer einen Rahmen hat, der die räumlich nebeneinander sichtbaren Elemente zum umgebenden Raum – auch zum Betrachter hin – abgrenzt. Das nennt man die „Ästhetische Grenze“!

Bei dem Projekt „Lascaux“ geht es um den Zeitpunkt vor dem Aufbruch. Die einzelnen Tiermotive sind hier in einem Nebeneinander ins Bild gesetzt und scheinen bewegt durch den Hintergrund. Die Höhlenmalereien in Chauvet, Altamira oder Lascaux sind vielen bekannt und vor mehr als 30.000 Jahren an die Wände gemalt worden. Zum einen handelt es sich um Bilder ohne Rahmen, es ist Bewegung und damit Zeit dargestellt. Die Beobachtung von ziehenden Herden wird ineinander geschachtelt, wodurch der Eindruck der Bewegung hervorgerufen wird. Zudem wird die Realität auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau nachgebildet. Und im trauten Höhlenbeisammensein wird die ästhetische Grenze in einer Atmosphäre aus Qualm und Sauerstoffmangel überschritten und erlebbar gemacht.
Heute ist es so, dass sich in vielen Disziplinen der Geschichtswissenschaften die Sichtweise durchsetzt, dass die Fähigkeiten der Menschen früherer Zeitalter unterschätzt worden sind.

Unsere Bilder zeigen heute lebende Tiere, die auf einer diffusen Höhlenwand eine Bewegung hervorrufen sollen. Das Bild ohne Rahmen, was bedeutet, dass die lebendige Welt keine Grenzen kennt, kann hier nur angedeutet werden, indem wir die Außenkannten des Bildträgers wie eine herausgelöste Steinplatte behandelt haben. Diese Verwandlung des Steinzeitmotivs in unsere Zeit, führt im nächsten Projekt zum Graffiti. Gemeint ist das Gleiche. Das Bild ohne Rahmen zeigt eine universale und universelle Welt, in der jetzt der Mensch als Sporttreibender das Momentum bestimmt. Die Grenzenlosigkeit der Malereien in den Städten wird dargestellt, indem die Betontafel in einem rostigen Eisenrahmen schwebt. Trotz des Bewegungsimpulses sind die Zeichen und Figuren, die Tags und Plakatreste zweidimensional, und erinnern daran, dass der Bildträger flach ist und alle räumlichen Bezüge nur in unserem Kopf stattfinden.

Das Überschreiten der „Ästhetischen Grenze“ zeigt das „Projekt Collagen“. Hier lassen wir die bewegten zweidimensionalen Figuren die Grenze überschreiten, indem sie auf den Betrachter zu nocheinmal verdoppelt werden. Der wilde Hintergrund aus Kalendermotiven soll die Chaotik des Lebens zeigen.

Der Kreis des Lebens führt uns zum Rundbild, dem Tondo. Ebenfalls ein Formelement aus der Architektur steht diese Form für den Kreislauf, und auch für die Zeit. Wie durch eine Lupe oder ein Fernrohr sehen wir den stillgestellten Moment einer Lebenssituation. Die Bewegung wird symbolisch durch den Kreis dargestellt und die Bewegung des Sujets findet wieder im Kopf statt. Durch den Abstand zur Wand entsteht eine große Schattenfuge, wodurch das Bild – ähnlich wie bei dem Mauerbild – an der Wand zu schweben scheint.

Die drei hochformatigen Bilder zum Beginn der Ausstellung (auf der rechten Seite) zeigen drei sitzende Figuren. Auch in diesen Bildern erwarten wir immer eine nächste Bewegung. Entweder haben sie sich gerade hingesetzt oder stehen gleich wieder auf. Bleiben sie sitzen, erwarten wir einen Augenkontakt. Besondere Bewegung haben wir bei dem Bild mit der Schaukel. Durch die trapezförmig gemalten Schaukelseile sehen wir die Bewegung auf uns zu.

Ebenso haben wir ein ähnliches Momentum bei den drei Avatar-Bildern. Das Kauern bei der Wasserspeierfigur (Gargoyle/Gargouille), die Körperspannung bei der Schwertkämpferin und der verschmitzte Augenkontakt bei der Hexe.

Das letzte Projekt zeigt eine Naturerscheinung (Agens), den fallenden Regen, der auf das Momentum seines Beginns folgt. Das haben wir so ausgedrückt, indem wir ein Bild mit vier übereinanderliegenden Folien gestaltet haben. Der Hintergrund zeigt einen Landschaftsauschnitt mit einem Teich vor dem Regen. Der hintere Mittelgrund zeigt das Ufer und die Wasseroberfläche, der vordere Mittelgrund Tiere, Pflanzen und Tropfenellipsen. Die vordere Folie zeigt den fallenden Regen und die Ellipsen der springenden Tropfen. Die vier Ebenen zeigen also einen Zeitablauf des hintereinander in einer räumlichen Anordnung von hinten nach vorne.

Wir können also durchaus Bewegung und zeitliche Verläufe in der Malerei darstellen, weil jedes Momentum im Kopf des Betrachters stattfindet!

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